Scania-Schnauzer sagt goodbye!

Ruedi Baumann

BPZ / Scania zieht einen Schlussstrich unter ein hundert Jahres altes Designkonzept. Die Absatzzahlen des T-Haubenwagens (Lastwagen mit Kühlerhaube) waren in den vergangenen zehn Jahren stetig rückläufig. Weiterentwicklung und Fertigung des T-Modells lassen sich deshalb nicht länger rechtfertigen. Die Fertigung des Scania Haubenlenkers läuft Oktober 2005 aus.

In Europa sind die Stückzahlen in den letzten zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen, in Südamerika sogar um 90 Prozent eingebrochen. Seit Anfang der 90er-Jahre war Scania Marktführer bei Haubenwagen in Europa und Südamerika – und seit den vergangenen 15 Jahren nahezu auch als einziger Anbieter eines Haubenwagens auf dem Markt. Noch in den 70er-Jahren machten Haubenwagen rund 50 Prozent aller von Scania gefertigten Lastwagen aus, in den 80er-Jahren fiel dieser Wert auf ungefähr ein Viertel. Mitte der 90er-Jahre war der Anteil der T-Haubenwagen von Scania auf 20 Prozent gesunken, heute liegt dieser Wert bei zwei Prozent.

Kleine Schweizergeschichte

In der Schweiz konnten in den Sechzigerjahren die Scania-Haubenlenker mit der Typenbezeichnung 75 und 76 sehr schnell Fuss fassen. Es war die Zeit, als Bau- und Transportunternehmungen einen (oder nur wenige) FBW als „Flaggschiff“ in ihrer Flotte führten, Saurer und Berna - ebenfalls als Aushängeschild qualitätsbewusster Firmen - die normale Arbeit verrichteten, während Henschel, Mercedes, Deutz, MAN, Gräf&Stift, Steyr, ÖAF, Büssing, AEC, Leyland, Berliet, Renault, Saviem, Fiat, OM etc. mehr oder minder die materialmordende Dreckarbeit erledigten. Die „Ausländermarken“ waren billiger in der Anschaffung, günstiger bei den Ersatzteilen, wenn auch meist mit kürzerer „Lebensdauer“ gesegnet als die währschaften Schweizer-Erzeugnisse. Es war noch die Zeit der firmeneigenen „Starchauffeure“, welche sich damals schlichtweg weigerten, mit einem billigen „Ausländer“ zu fahren.

Der Siegeszug

In diesen Markt drang (nebst Volvo) Scania mit seinem unverwechselbaren „Schnauzer“ ein, konnte sich dank ausgezeichneter PR-Strategie rasch positionieren. Scania-Lastwagen hatten schon kurz nach der Markteinführung das Image, bezüglich Qualität, Treibstoffverbrauch und Lebensdauer den Schweizer-Lastwagen ebenbürtig zu sein – aber zusätzlich „sicherer“ bei allfälligen Verkehrs- oder Arbeitsunfällen. Dieser Ruf färbte auch auf die jeweiligen Transportunternehmungen ab: Wer Scania in seiner Flotte hatte, galt als zuverlässiger und sicherheitsbewusster Partner bei der Auftragsvergabe (wie der Swissmotor-Beitrag über den Transportunternehmer Ulrich Giezendanner deutlich zeigt).

Kein Schatten ohne Licht

Lediglich auf dem Allradsektor konnte Scania nicht mithalten. Das hatte einen in vielen Kreisen kaum bekannten Grund: Der schwedische Gesetzgeber gestattete nämlich den Bau von Allradlastwagen (auch Gelände- und Personenwagen waren von diesem Verbot betroffen) nur für militärische Zwecke. Das wiederum freute die Konkurrenz. Henschel, Mercedes, Magirus-Deutz, und MAN legten denn auch mit ihren Allradlastwagen auf dem Schweizermarkt (vorwiegend im Bausektor) kräftig zu. Während viele Lastwagenmarken, um die Ladefläche bei gleichem Radstand zu vergrössern, den sogenannten „Halbfrontlenker“ aus der Taufe hoben, blieb Scania beim Hauber der markant langen Motorhaube jahrzehntelang treu.

Meistgehasst

Lastwagenmechaniker schätzten dies sehr, weil Reparaturarbeiten am Motor eines Halbfrontlenkers zu den meistgehassten Aufgaben gehörten. Die heute üblichen Kipp-Kabinen waren noch nicht erfunden, folglich war die Zugänglichkeit zum halb in die Kabine ragenden Motor gleich Null und erforderte Schlangenmenschen. Im selben Zeitraum begann der Frontlenker seinen ungebremsten Siegeszug. Scania konnte in diesem Kapitel (bei uns jedenfalls) anfänglich nicht so richtig mithalten, denn die ersten Frontlenker von Scania waren, im Gegensatz zum „schönen“ Scania-Schnauzer, ästhetisch besehen, ziemliche Missgeburten.

Das Rätsel von der Motorbremse

Etliche Rätsel gab den Konstrukteuren seinerzeit die Tatsache auf, dass Reklamationen der Chauffeure über eine zu wenig wirkungsvolle Motorbremse ausnahmslos den Haubenlenker, nie jedoch den Frontlenker betrafen. Aber beide Modelle waren bezüglich Motor (und Staudruckbremse) baugleich. Ein findiger Kopf fand dann die Erklärung für das Phänomen: Beim Frontlenker befand sich der Ansaug-Luftfilter zum Motor direkt unter dem Fahrersitz, wogegen er beim Haubenlenker weit vorne unter der Haube angeordnet war. Beim Frontlenker donnerte demzufolge die Motorbremse dem Chauffeur die Ohren voll, wodurch eine Super-Wirkung suggeriert wurde. Beim Haubenlenker fehlte dem Fahrer diese akustische Begleiterscheinung. Durch eine konstruktive Änderung wurde dann bei allen Modellen die (dringend notwendige) Wirksamkeit der Staudruckbremse entscheidend optimiert.

Der Spass mit den Halbgängen

Wie es die Schweizer-Lastwagenmarken vorexerziert hatten, verfügten auch bald schon die ausländischen Erzeugnisse über sogenannte Halbgänge. Natürlich nicht so komfortabel wie die vorwählbaren, servounterstützten Halbgänge der Schweizerwagen, aber immerhin. Bei Scania konnte man sich offenbar zunächst nicht einigen, was nun besser sei, beim Hochschalten den Wählhebel nach oben oder nach unten umzulegen. Nach vier Jahren Produktion entschieden die Ingenieure in Skandinavien, andersrum sei wohl doch praxisgerechter. Dumm nur, wenn in einer Fahrzeugflotte beide Typen existierten – und der Chauffeur beim Wagenwechsel aus Macht der Gewohnheit den Hebel in die nun falsche Richtung bewegte, also statt in den nächsthöheren Gang einen Gang zurückschaltete. Eine prachtvolle Beule am Kopf beim plötzlichen Kontakt mit der Windschutzscheibe war noch das kleinste Übel, es sollen aber ganze Zylinderköpfe durch die Motorhaube geflogen sein…

Die Gründe für einen Hauber – Sicherheit und Komfort

Im Laufe der Jahre haben Fahrer immer wieder gesagt, dass sie sich am Lenkrad eines Haubenwagens besonders sicher und geborgen fühlen. Der Fahrer sitzt in souveräner hoher Position und blickt über eine beeindruckende Motorhaube auf das Verkehrsgeschehen. Die Sitzposition hinter dem Motor - bei einem längeren Radstand und weit hinter der Vorderachse – bot auch mehr Fahrkomfort. Beim Frontlenker ist der Fahrerplatz direkt über dem Vorderrad, wodurch bei den früheren, ruppigen Blattfedern alle Unebenheiten direkt an den Chauffeur weitergereicht wurden. Einige Transportunternehmer setzten gezielt auf den T-Haubenwagen als strapazierfähigen Truck für harten Einsatz, wie z. B. im Bau- und Anlagenverkehr, oft in Kombination mit einem kurzen Fahrerhaus und besonders strapazierfähigen Fahrgestelloptionen.

1958: Erster globaler Scania-Lkw

Entscheidend für den Einstieg von Scania-Vabis auf dem Weltmarkt für schwere Nutzfahrzeuge war das 1958 vorgestellte Modell L75. Das in Europa und Südamerika in verschiedener Ausführung und Optik hergestellte Modell wurde bis 1980 weiter gebaut. Zum Einsatz kamen 7- oder 10-Liter-Motoren, die ab 1963 auf 8- bzw. 11-Liter-Motoren aufgewertet wurden.

Zusammenfassung der Bezeichnungen:
L = 4x2      LS = 6x2      LT = 6x4
Leichtere Versionen des kleineren Motors erhielten die Bezeichnung 55 und 65.
Der 75 wurde im Laufe der Jahre immer wieder aktualisiert: 76 (1963), 110 (1968), 111 (1974).

Haubenwagen waren bis zur Einführung des legendären LB76 im Jahre 1963 das Flaggschiff des Unternehmens. Der Einstieg von Scania-Vabis auf dem europäischen Markt erforderte ein raumeffizienteres Konzept, das auch den neuen Längenregulierungen entsprach.

Das Modell LB76 war ausserordentlich erfolgreich, obwohl die Ingenieure hier eine Reihe von Kompromissen eingehen mussten, um die Komplexität eines nach vorn kippbaren Fahrerhauses zu vermeiden. 1968 folgten die Nachfolgeserien LB80 und LB110, die von Grund auf als Frontlenker entwickelt waren. Von diesem Zeitpunkt an dominierten Frontlenker die Lw-Produktion von Scania.

1969 brachte Scania seinen legendären 14-Liter V8 auf den Markt, den damals leistungsstärksten Lw-Motor überhaupt. Dieser Motor fand unter der engen Haube des L-Modells keinen Platz, aber es gab eindeutig einen Markt für Haubenwagen mit V8-Triebwerk. Die Ingenieure von Scania konstruierten daher einen völlig neuen Hauber, der unter der Bezeichnung L140 auf den Markt kam. Dieses Modell, erstmals auch als „Halbfrontlenker“ konzipiert, basierte komplett auf dem Frontlenker LB140, war aber gleichzeitig die erste komplette Modulbaureihe von Scania und damit Vorgänger der GPRT-Baureihe, die 1980 auf den Markt kam.

Seither wurde der T-Haubenwagen konsequent parallel mit anderen Modellen des Lkw-Programms von Scania weiterentwickelt und mit neuesten technologischen Innovationen und neuen Antriebssträngen ausgestattet. Durch den flachen Fahrerhausboden bietet der Haubenwagen ein besonderes Raumangebot sowie einen hohen Komfort bei Anwendungen, bei denen der Unternehmer die maximal zulässige Lastzuglänge nicht ausschöpfen konnte oder wollte.


Der letzte Mohikaner. Scania beendet den Bau von Haubenlenkern per Oktober dieses Jahres. Damit geht ein halbes Jahrhundert einer Lastwagenlegende zu Ende. Der Abschied von „Schnauzer“ dürfte nicht nur vielen Berufschauffeuren schmerzlich fallen.


Mit diesem Modell eroberte Scania ab 1958 den Weltmarkt. Etliche Lastwagen aus der Anfangsperiode überlebten bis heute, und verrichten täglich zuverlässig ihr Arbeitspensum.


Vor allem im Bausektor erwiesen sich Scania-Kipper sogar Schweizer Lastwagenmarken bezüglich Zuverlässigkeit und Langlebigkeit überlegen.


Der bekannte Schweizer Politiker und Transportunternehmer Ulrich Giezendanner orderte noch kurz vor „Torschluss“ fünf Scania-Haubenlenker. Sehr zur Freude seiner Chauffeure.

 


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