Schwergewicht auf 136 Rädern
Wenn ein Hochspannungstrafo zur Reparatur muss

Text: Ruedi Baumann
Bilder: Ruedi Baumann / Jörg Müller EWZ

Extreme Schwer- oder Ausnahmetransporte bleiben dem "normalen" Verkehrsteilnehmer meist verborgen, weil sie aus verkehrstechnischen Gründen ausschliesslich bei Nacht stattfinden. Allerdings stimmt der Zeitplan fast nie, denn trotz präziser Vorarbeit, sprich Erkundung der Fahrstrecke, hemmen immer wieder unvorhergesehene Hindernisse den Ablauf des Transportes. Somit kommen vielfach Frühaufsteher, im Extremfall sogar der einsetzende Berufsverkehr, in den unfreiwilligen "Genuss" solcher unübersehbaren Verkehrsbremsen.

Eigentlich gibt es nur zwei (gängige) Arten von Ausnahmetransporten. Die einen betreffen das Volumen, also massive Überschreitungen von Länge, Breite und Höhe. Die zweiten beziehen sich auf das Gewicht. Vielfach kommen jedoch bei extremen Übergewichten auch Volumenüberschreitungen hinzu. Dann wird es eklig. Früher mussten bei extremen Schwergewichten mehrere Zug- und Stossfahrzeuge eingesetzt werden, wodurch ganze, entsprechend schwerfällige Konvois entstanden. 

Bei den heutigen, hochpferdigen Zugmaschinen mit ihren Automatengetrieben ist diese Problematik kleiner geworden. Sozusagen als "Ausgleich" wurden die früheren Schwertransport-Routen zwischenzeitlich von den Verkehrsplanern weitgehend eliminiert - und Verkehrsinseln, Lichtsignalanlagen sowie Verkehrsberuhigungskreisel angelegt. Viele einstige Industriezweige können daher ihre Erzeugnisse gar nicht mehr herstellen, weil der Abtransport zum Empfänger nicht mehr möglich ist. Eine diesbezügliche Anfrage des Schreibenden an das Bundesamt für Verkehrswesen wurde mit den Worten beantwortet: "Die Industrie hat sich nach den bestehenden Strassen- und Verkehrsverhältnissen zu richten - nicht umgekehrt!" Dass die Verkehrsplaner genau diese Parameter in eigener Kompetenz konstant zu Ungunsten der Schwerindustrie verändern, interessiert "Bundesbern" nicht.

Swissmotor fand den Nachttransport eines 180 Tonnen schweren Hochspannungstrafos vom EWZ-Unterwerk Aubrugg in Zürich-Oerlikon nach Beznau im Kanton Aargau "dokumentationswürdig", denn immerhin wies der Gesamtzug das stolze Gewicht von 328 Tonnen auf. Mit einer Länge von sechzig Metern. Weil der Bodendruck der einzelnen Räder möglichst gering sein muss, rollten der Nicolas-Auflieger und Nachläufer (zweiter Anhängerteil) der Firma Friderici auf 112 Reifen! Gesamthaft verfügte also der Transport über 136 Räder inklusive Zug- (Mercedes 530 PS) und Stossfahrzeug (Iveco 580 PS).

Neu an diesem Transport war die Eigenschaft des Nicolas-Aufliegers, das Ladegut, den Trafo, ohne Hilfe eines Krans direkt ab Boden aufnehmen zu können. Die U-förmige Tragkonstruktion konnte zu diesem Zweck getrennt, auseinandergezogen und um den Trafo herum an diesem befestigt werden. Die bordeigene Hydraulik hob anschliessend den Trafo hoch. Wie auch bei andern Schwertransport-Spezialanhängern heute üblich, vermag die Hydraulik das Ladegut nicht nur abzusenken oder seitlich zu neigen, sondern auch zusätzlich anzuheben. Bei dieser Nicolas-Konstruktion sogar bis auf eine Höhe von 1.60 Meter ab Boden! Auf diese Weise können in engen Kurven Gartenzäune und sonstige Hindernisse "überfahren" werden. Operationsbühnen auf dem Auflieger, wie auf dem Nachläufer erlauben zudem das selektive Ansteuern der einzelnen Achsen. Folglich kann der "Anhängerteil" einen ganz anderen Radius bestreiten, als er üblicherweise vom Zugfahrzeug vorgegeben ist. Sogar ein sogenannter "Hundegang" ist möglich. Das bedingt allerdings ein perfektes kommunikatives Zusammenspiel der Mannschaft mit den Fahrern, weil Auflieger und Nachläufer auf diese Weise "eigene Wege" fahren können. Der Frontfahrer bestimmt also nicht wie früher allein den "Nachlauf" der Anhängerkomposition. Und der Chauffeur des Stossfahrzeuges hat nicht nur den Stosswinkel seiner Frontdeichsel zu beachten.

Dank den beiden einzeln operierenden Kommandoständen auf Auflieger und Nachläufer konnten bestimmte Kurven- oder Strassenkonstellationen auf völlig unübliche Weise bewältigt werden. Wenn beispielsweise das Befahren einer Abzweigung nach rechts wegen der Gesamtlänge nicht möglich war, ein Abzweigen nach links jedoch schon, bog das Zugfahrzeug nach links (in die verkehrte Richtung also) ab - und befuhr anschliessend im Rückwärtsgang das vorgesehene Strassenstück. Gesteuert wurden die Achsen der Komposition während dieses Manövers vom Mann auf der rückwärtigen Operationsbühne. Sollte eine Steigung das zeitweise Abkuppeln vom Stossfahrzeug verbieten, kann dieses gewendet werden und interimsweise als Zugfahrzeug dienen.

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Der reparaturbedürftige Trafo unterwegs

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Wegen des enormen Gewichtes mit Stossfahrzeug

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Meist nur im Schritttempo

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Hier zur Abwechslung rückwärts fahrend

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Der morgendliche Berufsverkehr dürfte an dem Koloss weniger Freude gehabt haben.

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Wegen zeitlicher Verspätung Tagesanbruch. Hier ist die Gesamtlänge gut sichtbar

 


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