Jeep Grand Cherokee 4,7 l V8
Verkaufsrenner (mit kleinen Schönheitsfehlern)

Text und Bilder: Ruedi Baumann

BPZ. Wer ein aufmerksames Auge dem Verkehrsgeschehen widmet, wird bemerkt haben, welch erstaunlich grosse Zahl neuer Grand Cherokees plötzlich auf unsern Strassen zirkuliert. Tatsächlich ist es derzeit die meistverkaufte Geländelimousine der Luxusklasse. Warum dem so ist, vermag aber niemand (nicht einmal der Generalimporteur) schlüssig zu beantworten; der Wagen (oder die Marke Jeep) scheint einfach "in" zu sein. Denn, ein preisgünstiges Wägelchen ist er ja nicht unbedingt.

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Dynamisch, aggressiv ist das Erscheinungsbild des neuen Jeep Grand Cherokee geworden.
Ob ihn das zum Erstklass-Verkaufsrenner macht? Oder ist es der PS-gewaltige V8-Motor?

Um es ehrlich zu gestehen: Dem Schreibenden gibt der fast unglaubliche Verkaufserfolg des neuen Jeep Rätsel auf. Das neue Design kann es doch kaum allein bewirkt haben, obwohl das Aussehen zugegebenermassen wesentlich aggressiver geworden ist. Zumindest im Frontbereich. Sind Grand Cherokee-Fahrer "aggressive" Typen? Die Beobachtung der verschiedenen Fahrweisen beweist eher das Gegenteil.

Tatsächlich lässt der neue Jeep beim Kavalierstart sogar auf trockenem Asphalt Gummi liegen – aber dem Verfasser ist (ausser ihm selbst) noch kein einziger Grand Cherokee-Fahrer untergekommen, der den 223 Pferdchen des V8 so richtig die Sporen gibt. Sogar auf Autobahnen trifft man den Jeep meist brav auf der rechten Fahrspur an. Was also ist das Erfolgsrezept? Recherchen haben ergeben, dass es zu einem nicht unerheblichen Teil "Neukunden" sind, sie sich zum Kauf des neuen "Grand" entschlossen haben, also nicht nur gestandene Chrysler-Kunden, die Vorgängermodelle gegen den Neuling eintauschen. Zudem: So sehr anders als das Vorgängermodell sieht er gar nicht aus. Auch kommt er noch immer mit zwei Starrachsen daher, wo seine Mitstreiter (zum Teil schon vor Jahren) auf komfortablere Einzelradaufhängungen gewechselt haben.

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Die Achsverschränkung ist nach wie vor tadellos. Demzufolge könnte man mit ihm noch immer ins Gelände...

Schlaues Kerlchen

Ob also allein das neue Design ausschlaggebend ist? Technische Neuheiten hat er nämlich zuhauf – aber die sieht man ihm von aussen nicht an. Und wieviele Käufer interessieren sich denn heutzutage noch für versteckte technische Details? Unsere Swissmotor-Leserschaft natürlich ausgenommen. Dass er plötzlich so raketenhaft aus dem Stillstand abzischt, hat seinen Grund in einem völlig neu konzipierten Automatengetriebe mit einem ganz kurzen 1.Gang und zwei 2.Gängen (die der Automat jedoch selbst anwählt).

Seit Anfang 2000 werden alle Modelle mit dem Quadra-Drive ausgeliefert, bei denen das Verteilergetriebe mit variabler Kraftverteilung durch "intelligente" progressive Vari-Lock Achsen ergänzt ist, welche selbsttätig die Links-Rechts-Kraftverteilung steuern. Selbstredend steht nach wie vor eine Geländeuntersetzung zur Verfügung (sonst wäre es kein Jeep). Der Antrieb auf die Achsen geschieht nicht mehr 50:50. Im Normalfall wird der Grossteil der Antriebskraft auf die Hinterräder geleitet. Erst wenn die Traktion der Hinterräder nachlässt, bezieht das Verteilergetriebe den Vorderradantrieb voll mit ein. Und zwar blitzschnell. Mit seiner überlegenen Funktionalität verschafft Quadra-Drive dem Grand Cherokee selbst dann noch Vortrieb, wenn nur noch ein einzelnes Rad greift. Spüren tut der Fahrer erstaunlich wenig von diesen Vorgängen. Der Wagen kommt einfach fast von alleine noch dort vorwärts, wo die Fahrer anderer 4x4 längst mechanische Hilfen aktivieren müssen. Oder steckengeblieben sind. Ob dies nicht neue Gefahren in sich birgt, bleibe dahingestellt...

Willkommen im Club

Aus dem (wieder einmal) überarbeiteten 4,7 lt. V8-Motor kitzeln die Konstrukteure inzwischen 223 PS / 162 kW. Damit ist auch der Jeep in die Klasse der "Geländeboliden" aufgerückt. Das Drehmoment – 394 Nm bei 3‘300 U/min - lässt sich ebenfalls sehen. Laut Herstellerwerk soll der neue V8 mit einer um 50 Prozent gesteigerten Lebensdauer/Laufleistung aufwarten.

Dank der neuen, elektronisch gesteuerten Vierstufenautomatik und Overdrive gelangt die vehemente Kraftentfaltung relativ weich an die Antriebsräder. Nur den Achsen scheint diese Urgewalt weniger Freude zu bereiten, bei unserem (praktisch nagelneuen) Testwagen jammerten die Achs-Differentiale unüberhörbar. Und dass Chrysler bis dato noch immer nicht begriffen hat, wie praktisch eine separate Ganganzeige im Armaturenbrett wäre, übersteigt unser Verständnis, zumal die Vielfalt der Anzeigen beeindruckend ist. Schliesslich waren die Amis seinerzeit die ersten, die – allerdings bei den damals üblichen Lenkradschaltungen – Gang-Anzeigen im Armaturenbrett anordneten...

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Die etwas rundlicher gewordene Karosserie und die schwarz getönten Fensterscheiben stehen ihm gut an.

Angesichts gediegenstem Fahrkomfort – und inzwischen rundlicheren Formen - überraschten uns die aufdringlich lauten Windgeräusche im Wageninnern. Mitfahrer kontrollierten stets irritiert die Fenster, öffneten und schlossen sie sogar mehrmals, vergebens. Ab 100 km/h waren Gespräche in Normallautstärke nicht mehr möglich. Die Abteilung "Technik" beim Generalimporteur bestätigte diesen Mangel, meinte jedoch, dies könne man mit genauerer Justierung von Türen und Fenstern einigermassen beheben

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Hintenrum finden ihn einige Betrachter jedoch zu rund...

Vorne aggressiv – hinten, naja...

Den Jeep-Designern gebührt ein Lob. Es ist ihnen gelungen, die unverkennbaren Merkmale der Marke unverfälscht zu übernehmen – und gleichwohl ein weithin als neu erkennbares Auto auf die Räder zu stellen. Ein "dynamischer" Aspekt ist hinzugekommen. Das Heck will jedoch nicht so recht mit der Vorderfront korrespondieren. Durch die Verlegung des Reserverades in eine Ablage unter den Heckstauraum (endlich mehr Platz im Wageninnern!) ist von hinten der voluminöse Kasten im Unterbau deutlich zu sehen.

Je nach Position des Betrachters (und des Wagens) wirkt es etwas plump. Ein Mechaniker drückte es so aus: "Wie ein davonwatschelndes Baby mit Pampers!" Rückwärtige Kotschutzlappen, die er serienmässig nicht hat, würden dieses Bild vorteilhaft verändern. Infolge der nun steiler abfallenden Motorhaube sind dem Fahrer neuerdings die vorderen Eckpunkte des Fahrzeugs nicht mehr ersichtlich. Für ihn hört das Fahrzeug auf Höhe der Windschutzscheibe auf. Beim Manövrieren auf engstem Raum ist daher Vorsicht angezeigt.

Au Weia!

Weniger spassig empfanden wir den nicht bombierten linken Aussenspiegel. Nur um Haaresbreite – und dank der Geistesgegenwart eines betroffenen Fahrers - entging der Verfasser auf der Autobahn einem verheerenden Unfall. Im Gegensatz zu den Amerikanern kennen wir nichts anderes als verkleinernde Aussenspiegel. Der 1:1-Spiegel des "Grand" verheimlichte jedoch effizient die Anwesenheit eines versetzt am Heck fahrenden zweiten Wagens auf der Überholspur. Nur durch ein waghalsiges Ausweichmanöver verhinderte der Fahrer des überholenden Autos eine seitliche Kollision mit unserem auf die Überholspur scherenden Jeep.

Zusätzliche Gemeinheit: Ein Kontrollblick durch hinteren Seitenfenster ist infolge der massiven und ausladenden B-Säule nicht möglich. Wir können daher allfälligen Käufern nur den dringenden Rat geben, schon beim Händler auf das Auswechseln des linken Original-Spiegelglases durch ein hierzulande gebräuchliches, leicht verkleinerndes Glas zu bestehen. Mit allem Nachdruck. Sonst drohen böse Überraschungen.

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Neben dem wuchtigen Kühlergrill sind vor allem die neuen Polycarbonat-Scheinwerfer augenfällige Merkmale des Neulings

Ach ja – noch etwas. Sollten Sie vor sich einen neuen Grand Cherokee mit grundlos eingeschalteten Nebelschlussleuchten erleben, seien Sie nachsichtig. Der Fahrer hat mit grösstmöglicher Sicherheit gar keine Ahnung davon. Der neu am Lenkstock befindliche Multifunktionsschalter schaltet durch stufenweises Drehen die Lichter am Fahrzeug ein. In der Endstellung brennen automatisch auch die Nebelschlussleuchten! Neckischerweise wird zudem die kleine LED-Anzeige im Armaturenbrett durch das Lenkrad völlig verdeckt. An der, gelinde gesagt, idiotischen Schalter-Anordnung, trägt der Fahrer keine Schuld (was ihn allerdings nicht vor einer empfindlichen Polizeibusse schützen wird).

Drei Typen

Den neuen Jeep Grand Cherokee gibt es in drei Versionen und mit drei Motorvarianten. Wie bereits in der Vergangenheit üblich, gibt es alternativ zum V8-Triebwerk einen 4-Liter 190PS-Reihensechszylinder.

Dem Reihensechszylinder, weil preislich nur unwesentlich unter dem V8 angesiedelt, wurde hierzulande in der Vergangenheit keine grosse Begeisterung zuteil. Wahrscheinlich ist auch der Kaufpreis zu nahe am Modell mit V8-Motor angesiedelt. Neu dagegen ist die Dieselvariante: Den "Grand" gibt es neu mit 3,1-Liter Fünfzylinderdiesel plus Turbo und Ladeluftkühlung. Der Fünfzylinder leistet 140 PS. Serienmässig mit Automatengetriebe! Angesichts stetig steigender Treibstoffpreise eine reifliche Überlegung wert.

Kaufpreise:

Der Jeep Grand Cherokee 4,7 Limited (V8) kostet 71'100 Franken.
Der Grand Cherokee 4,0 Limited (Sechszylinder) 69'100 Franken.
Der Grand Cherokee 3,1 TD Limited (Diesel) 69'900 Franken

 


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